FarinaBona: Eine fast vergessene Mehlsorte aus dem Tessin

Ein Ausflug führte die Graswurzler auf die Spuren der traditionsreichen Mehlsorte «FarinaBona». Ilario verarbeitet in seiner Mühle in Vergeletto, Ticino, Mais aus der Magadino-Ebene zu Galetten, Guetzli und einem leckeren Gelato.

Gastbeitrag von Erica Bänziger

Bei strahlend schönem Sommerwetter trafen sich 13 engagierte Graswurzler im abgelegenen Bergdorf Vergeletto, in einem Seitental des Valle Onsernone, das auf 906 Meter liegt. Heute leben dort noch rund 40 Personen, vorwiegend im Sommer.

Der sympathische Postautochauffeur Max Welti – der übrigens früher das regionale Bier Bironsa in Vergeletto braute – brachte die meisten der Graswurzler in das sehr kurvenreiche Tal. Dank seinen guten Fahrkünsten und seinem Humor, kamen alle, trotz der undendlich scharfen Kurven, wohlbehalten auf dem Dorfplatz an. Hier empfing uns auch gleich der Protagonist der alten Mühle, Ilario Garbani, ein ehemaliger Lehrer. Er führte uns in seine Werkstatt – das Laboratorium – wo das geröstete Maismehl, das FarinaBona (gutes Mehl) hergestellt wird.

Tal war einst ein beliebter Wohnort

Zuerst erzählte er uns Interessantes über das ganze Tal, das über eine lange Zeit sehr arm war. Als dann die Pest über Europa hereinbrach, suchten viele Menschen aus den Grossstädten, wie beispielsweise Mailand, eine abgelegene Bleibe. Im Tal fand man auch viel Holz für den Häuserbau im nahen Italien, sowie genügend Futter für die Tiere. So wurde das Tal zu einem beliebten Wohnort. Das reichlich vorhandene und wertvolle Holz konnte mihilfe der Bergbäche und des Flusses zum Lago Maggiore befördert werden. Von dort aus wurde es über weitere Kanäle nach Italien geführt. Dies brachte dem Tal den wirtschaftlichen Aufschwung während vieler Jahre.

Edle Hüte für italienische Grossstädter

Hinzu kam die geniale Idee eines Belgiers: Er liess das Roggenstroh aus dem Tal zu edlen Hüten verarbeiten für die Damen und Herren aus den italienischen Grossstädten. Diese handwerklichen Waren brachten dem Tal weiteren wirtschaftlichen Aufschwung. Noch heute zeugen einige grössere Palazzi im Tal von dieser Zeit. Dies geschah von zirka 1500 bis 1910. Die relativ einfache und nicht körperlich anstrengende Arbeit konnten auch Kinder und Senioren verrichten. Erst, als in Italien die Strohverarbeitung durch den Import von chinesischem Stroh viel preiswerter wurde, brach der Markt im Tal komplett ein. Damit begann dann leider auch die grosse Abwanderung.

Stroh für Souvenirs kommt heute aus China

Allerdings wird heute in Berzona auch wieder Stroh verarbeitet, dies aber nur noch als folklorisches und nostalgisches Projekt. Auch dieses Stroh kommt heutzutage aus Preisgründen aus China; sogar die vorgefertigten, geflochtenen Strohbänder, die man dann in Berzona bei Pagliarte in Form von Hüten und anderen Accessoires kaufen kann. Würde man diese Hüte mit angebautem Stroh aus dem Tal herstellen, käme der Preis pro Hut auf rund 500 Franken.

Früher lebten im gesamten Tal (Onsernone und Vergeletto) über 3 000 Menschen; heute sind es im ganzen Tal noch etwa 600-700 Einwohner. Davon leben rund 40 Menschen direkt in Vergeletto; früher zählte man über 400 Seelen.

Noch vor 1960 verfügte jedes Dorf über eine eigene Schule; insgesamt waren es neun! Heute gibt es nur noch eine in Loco. Doch auch ihr droht die Schliessung; im ganzen Tal hat es zu wenig Kinder.

Nahrhafte Speisen aus Mehl

Der Roggen, der für die Ernährung und für den Stroh angebaut wurde, musste für die Strohverarbeitung früh geerntet werden. Die Halme durften nicht zu trocken sein, sodass die Körner noch grün waren. Damit man sie trotzdem essen konnte und lange haltbar waren, hat man sie über dem Feuer geröstet, gleich wie den Grünkern. Das schmackhafte Mehl konnte einfach mit Milch angerührt, und rasch genossen werden. Somit entfiel auch eine lange Kochzeit. Für die Bauern und die Arbeiterinnen war es eine willkommene und nahrhafte Speise. Später wurde der Roggen mit Mais gemischt und geröstet.

Derzeit wird jedoch nur noch Mais zu geröstetem Mehl – dem FarinaBona – verarbeitet. Dass der Mais glutenfrei ist, kommt heutzutage bei den Konsumenten – und vor allem bei den Allergikern – sehr gut an. Würde im selben Betrieb weiterhin auch Roggen verarbeitet, könnte man die FarinaBona nicht mehr als glutenfrei zertifizieren lassen. Aus diesem Grund verarbeitet Ilario ausschliesslich Mais, der aus der Magadino-Ebene stammt.

Gekreuzte Mehlmischung

Ein gutes Maismehl ergibt eine Kreuzung zwischen einer italienisch-tessinerischen, und einer französischen Maissorte. Trotz Widerstände – weil das Mehl aus verschiedenen Sorten stammt – darf FarinaBona als Slow Food Produkt vermarktet werden. Ein Prädikat, das dem Lebensmittel hilft, als Nischenprodukt wahrgenommen zu werden. Heute wird in der Region kein Mais mehr – und aus Versuchsgründen nur noch ganz wenig Roggen – angebaut.

Im gesamten Tal gab es früher über 20 Mühlen; heute sind es nur noch zwei, die funktionstüchtig sind. Eine davon steht für die Herstellung von Polenta in Loco; die zweite ist jene in Vergeletto, die zur Herstellung von FarinaBona genutzt wird. 

Zwei alte Mühlen restauriert

Diese zwei Mühlen gibt es aber erst wieder seit 1991. Diese konnten mithilfe eines Museums erworben, und dank diverser Geldspenden restaurieren werden. Während 20 Jahren gab es im Tal keine funktionstüchtigen Mühlen mehr! Heute verarbeitet Ilario immerhin 30 Tonnen Mais pro Jahr zu FarinaBona. Inzwischen werden daraus diverse weitere Produkte, wie Galetten, Guetzli und ein feines Gelato, hergestellt. Auch als Zusatz gibt es dem Bier ein spezielles Aroma.

Dazu wird der Mais immer zuerst in einer alten Kaffeeröstmaschine aus Imperia während zirka 15 Minuten bei rund 200 Grad geröstet. Etwa ein Drittel wird dabei zu Popcorn gepoppt, um dann in der grossen Steinmühle vermahlt zu werden.

Die Museumsmühle ist nur noch zu Demozwecken in Betrieb. Weil die vorgeschriebene Lebensmittelhygiene in dieser nicht gewährleistet ist, darf man das darin gemahlene Maismehl leider nicht in den Verkehr bringen.

Wanderung an einen Kraftort

Nach der lehrreichen Besichtigung und Wissensvermittlung, durften wir das feine Gelato aus FarinaBona degustieren. Zudem erhielten wir als Präsent eine Packung des köstlichen Maismehls mit auf den Heimweg.

Anschliessend wanderte die lebhafte Gruppe in einem 20-minütigen Fussmarsch zu einem wunderschönen Kraftplatz. In einer traumhaften Umgebung, mit bemoosten Felsen und einem selten schönen und dichten Buchenwald, genossen wir das mitgebrachte Picknick. Angeregte Gespräche fanden statt und auch die tierischen Begleiter – mehrere Hunde – freundeten sich an und spielten in der kraftvollen Natur.

Voller neuer Eindrücke und genährt durch den kraftvollen Ort Galinosco, traten wir gegen 16 Uhr die individuelle Heimreise an.  

Wir freuen uns auf neue Abenteuer und hoffen auf weitere schöne Begegnungen mit Gleichgesinnten!

Text: Erica Bänziger, Fotos: Uwe Arn

1 Kommentar zu „FarinaBona: Eine fast vergessene Mehlsorte aus dem Tessin

  1. Hallo miteinander, so schön, dass ihr kulturelles Erbe und aktuelle Bedürfnisse in Einklang bringen könnt! Die Geschichten der Täler, die von Abwanderung, Höhen und Tiefen der Bewohner, Wandel und Aufbruch berichten, berühren mich immer zutiefst. Meine Freude über die aktive Gruppe mit Erica Bänziger ist gross und ich hoffe, dass ich dann und wann an Aktivitäten teilnehmen und euch kennenlernen kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*